Von der Perfektion ein Hundehalter zu sein

Ich kann mich noch sehr gut an die Zeit erinnern, als ich Ende der 90er Jahre mit meinem ersten eigenen Hund, einem wunderschönen american Collie, alleine in Hamburg lebte. Ich ging mit ihm ohne Leine durch die Stadt, wir fuhren regelmäßig mit der U-Bahn oder mit dem Bus. Alles ohne Leine und damals, ja damals, war das alles vollkommen normal. Kein Mensch drehte sich um, keinen interessierte dieser unangeleinte Hund. War früher alles besser? Zugegeben, mein Polly lief auch perfekt bei Fuß und belästigte niemanden, lag es daran? Oder war tatsächlich früher alles besser? Alles einfacher? Hatten wir Hundehalter weniger Einschränkungen? Ob es besser war kann ich nicht beurteilen, aber ich weiß, dass es anders war. War es nun wirklich die Umwelt, die einfacher war?- Vielleicht! Oder war ich es, die einfacher war?- Bestimmt! 

Nun, Ende der 90er Jahre war ich knapp 20 Jahre jung, ich genoss meine eigene Freiheit, meine Unabhängigkeit. Nichts schien zu schwierig oder unerreichbar. Ich glaube in diesem Alter, mit wenig Lebenserfahrung, lebt(e) man definitiv viel mehr im Hier und Jetzt. Ich muss dazu sagen, damals machte ich mir über Hundeerziehung absolut keinen Kopf. Ich besuchte weder eine Hundeschule noch hatte ich auch nur im Ansatz das Wissen über Hunde das ich heute habe. Und trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb verlief mein Leben mit meinem Polly absolut reibungslos. Wir Zwei fuhren mit dem Fahrrad (ohne Leine) die Elbe entlang, wir tollten durch den Jenischpark, saßen gerne gemeinsam am Hafen oder bummelten durch die Stadt. Am Elbstrand gingen wir baden oder verbrachten dort mit Freunden gemeinsame Abende am Lagerfeuer. Es funktionierte einfach. Vielleicht war Polly auch ein „Ausnahmehund“, mag sein, denn wirklich beigebracht habe ich ihm kaum etwas, er hat alles von sich aus angeboten.

Heute, viele, viele Jahre später, mit viel mehr Lebenserfahrungen und deutlich mehr Wissen (und vielleicht auch mit etwas Weisheit) sitze ich in meinem Laden und darf mich glücklich schätzen, täglich so viele Hunde zu sehen, zu streicheln und im Idealfalle den Fellnasen helfen zu können. Dabei fällt mir des Öfteren auf, dass wir Menschen (und ich schließe mich da definitiv nicht aus) irgendwie mit unseren Hunden, nun ich nenne es mal, verkrampfter sind. Irgendwie stehen wir Hunde-halter unter Druck. Unter dem Druck der Perfektion. Hat sich unsere Gesellschaft in eine derartige Richtung entwickelt, dass es uns manchmal peinlich ist, wenn etwas nicht funktioniert? Was würde der Nachbar sagen? Die Hundetrainerin? Was denken die anderen von mir, wenn mein Hund sich nicht in jeder Situation perfekt verhält? Und es geht noch weiter, wenn wir denken unsere Hunde sind perfekt, so müssen wir das auch noch unserer Umwelt beweisen...  „Schau mal er kann Pfötchen geben“... „Mach Rolle“... mach „Winke- Winke“... sonst bekommt du kein Würstchen...

„Ja Julia, deine Hunde sind bestimmt perfekt“- des Öfteren habe ich diesen Satz gehört. Und nein, keiner meiner Hunde ist perfekt, genauso wenig, wie ich perfekt bin! Nur weil ich beruflich mit Hunden zu tun habe und ja, sehr viel über Hunde weiß, macht mich das noch lange nicht perfekt- und meine eigene Hunde schon gar nicht. Wenn ich mich so an meinen damaligen Hund, an die Hamburger Zeiten erinnere, wird mir auch bewusst, dass mein Polly damals auch nicht perfekt war, ich habe alles nur nicht so eng gesehen. Ich habe all das nicht zu sehr bewertet. Und wahrscheinlich war es mir sogar egal, was andere dachten. Natürlich darf ein Hund keine Gefahr für die Umwelt darstellen, das setze ich jetzt einfach mal voraus, aber darüber hinaus... ist es nicht eigentlich scheiß egal ob mein Hund „Winke-Winke“ machen kann? Ob er perfekt und an mein Bein gepresst bei Fuß gehen kann? 

 

Wenn man einmal darüber nachdenkt ist es erstaunlich, dass ich selbst 7 Jahre nach Pollys Tod noch von ihm lerne.

Unser Leistungsdruck, den unsere Gesellschaft so extrem in dieser Zeit lebt, verschont auch unsere Vierbeiner nicht. Deutschland ist ein wunderbares Land, mit vielen Freiheiten und Entwicklungsmöglichkeiten. Aber Deutschland ist auch das Land des Leistungsdrucks und der Panikmache. 

 

Einer meiner jetzigen Hunde ist ein Dieb. Er klaut vom Tisch. (Und dies mit einer Selbstverständlichkeit) Alles „Fressbare“ ist nicht sicher vor ihm. 

Es ist ihm egal ob ich daneben stehe oder nicht. Meine Kleine ist ein durchgeknalltes Huhn... Leinenführigkeit ist für sie Zeitverschwendung, ich bin in ihren Augen einfach nicht schnell genug. Mir ist es bis heute ein Rätsel, wie wir die Begleithundeprüfung bestanden haben. (Durch die ich mich übrigens nur gequält habe, weil wir diese fürs Agility brauchten) Und nun? Tja, meine Hunde sind wohl für Außenstehende alles andere als perfekt. Aber für mich sind sie die perfekten Fellmonster. Sie passen perfekt zu mir. Jeder von ihnen ist auf seine Weise genauso wie er sein soll, ich liebe sie so wie sie sind, ohne Wenn und Aber, mit allen Schwächen und Stärken.

Mit ihnen kann man perfekt kuscheln, sie drücken mich im Bett perfekt zur Seite um Platz zu haben. Sie lecken mir perfekt  durch mein Gesicht und sie schnarchen perfekt in der Nacht. Sie sitzen perfekt neben der Badewanne und bewerfen mich mit Spielzeugen, wenn ich entspannen möchte, im Garten wird perfekt in den Gartenschlauch gebissen und sie können perfekt im Haus ihre matschigen Pfotenabdrücke hinterlassen. Sie bringen mich jeden Tag perfekt zum lachen und morgens zaubern sie mir ein perfektes Lächeln ins Gesicht. Meine Hunde sind für mich perfekt, genauso wie ich für meine Hunde perfekt bin.

 

Ich habe mit viel Glück 10- 16 perfekte Jahre mit ihnen... und in dieser kurzen Zeit erlebe ich mit ihnen das perfekte Leben. Sie trösten mich perfekt, wenn ich trauere und sie tanzen perfekt mit mir, wenn ich glücklich bin. Dafür bin ich dankbar. Der Rest ist egal.

 

Ein Hund muss nicht perfekt sein. Kein Hundehalter benötigt einen perfekten Hund, wir glauben das nur. 

Deswegen ist es mir auch egal ob ein Hund bei mir im Laden klaut oder gar um-dekoriert, bellt oder an dem Tresen hochspringt. Er muss auch für ein Würstchen nicht „Winke-Winke“ machen. 

 

Nachdem Sie diese Zeilen gelesen haben, sollten Sie Ihren Hund einmal ganz fest in den Arm nehmen, ihm einen Kuss auf die Stirn geben und ihm sagen, dass Sie ihn so lieben, wie er ist... weil er für Sie perfekt ist.

 

Denken Sie immer daran, vor allem in Zeiten, wo Sie das Gefühl haben, dass sie keinen perfekten Hund haben... es kommt der Tag an dem Ihr Hund nicht mehr bei Ihnen sein kann, dann ist es zu spät zu sagen: „Du bist für mich perfekt “.

 

Ihre

Julia Fiore

Tierheilpraktikerin

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